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Von: Dr. Volker Nies

OSTHESSEN KOMMT GLIMPFLICH DAVON

DIE CORONA-PANDEMIE HINTERLÄSST IN VIELEN
UNTERNEHMEN ENORME BREMSSPUREN

11.12.2020

„Die Corona-Pandemie ist ein Stresstest für die Region. Bisher hat sie sich relativ robust gezeigt.“
Dr. Volker Nies

Leiter der Journal-Redaktion „Wirtschaft & Karriere“

„Nicht nur die Unternehmen, die ganze Gesellschaft ist in einem unvorstellbaren Ausmaß getroffen.“
Dr. Christian Gebhardt

Präsident IHK Fulda

„Die Unternehmen investieren in ihre Zukunft und bilden auch in schwieriger Zeit ihre Fachkräfte für morgen aus.“
Michael Konow

Hauptgeschäftsführer der IHK Fulda

„Der jüngste Lockdown, der vermutlich auch das Weihnachtsgeschäft trifft, wird die oft schon schwierige Lage im Handel und der Gastronomie weiter verschlimmern.“
Dr. Gunther Quidde

Hauptgeschäftsführer der IHK Hanau-Gelnhausen-Schlüchtern

„Wir sind relativ breit aufgestellt, wir sind nicht nur von einer Branche abhängig. Unsere Unternehmen können somit flexibler auf die Entwicklung reagieren.“
Dr. Jens Mischak

Vogelsberger Vize-Landrat und Wirtschaftsdezernent

Der Geschäftsklimaindex im Bereich der IHK Fulda sinkt zwar seit dem letzten Quartal 2019 kontinuierlich – jedoch in einem überschaubaren Maß, wie diese Grafik zeigt.

lle Auftragsbücher in vielen Branchen, gute Stimmung in den Betrieben, Vorfreude auf eine Weltpremiere – das Musical „Robin Hood“ in Fulda – im Sommer: Bis Anfang März standen alle Vorzeichen auf Wachstum für die osthessische Wirtschaft. Sorgenkinder waren allein der wachsende Fachkräftemangel und die Strukturkrise der Automobilwirtschaft.

Dann kam das Corona-Virus. Geschäfte, Schulen und Kindergärten mussten schließen. Die Konjunktur brach ein – europaweit. Osthessen blieb nicht verschont. Doch Osthessen ist glimpflich davon gekommen. Dank einer günstigen Wirtschaftsstruktur und dank massiver Hilfsprogramme. Auch im nächsten Jahr werden die Unternehmen zu kämpfen haben. „Nicht nur die Unternehmen, die ganze Gesellschaft ist in einem unvorstellbaren Ausmaß getroffen“, erklärt Dr. Christian Gebhardt, Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Fulda. 

Dass der größte Wirtschaftseinbruch seit dem Krieg nicht voll in der Region durchschlägt, dafür ist der Arbeitsmarkt ein guter Indikator: Die Arbeitslosenzahl blieb niedrig, in Fulda war die Quote im November mit 3,3 Prozent die niedrigste in Hessen. Im Main-Kinzig-Kreis liegt sie mit 5,6 Prozent fast auf Hessenschnitt (5,5 Prozent), der Vogelsbergkreis meldet gar nur 3,8 Prozent.

Dennoch: Die Unternehmen ächzen. Viele sind im November und Dezember von einem zweiten Lockdown getroffen. In der Region betroffen sind – wie überall in Deutschland – Gastronomie und Hotellerie, Caterer, Messeveranstalter, die Kreativwirtschaft, Tourismusbetriebe, Reisebüros, Personaldienstleister, der ÖPNV, personenbezogene Dienstleister wie Fitnessstudios und der stationäre Handel (ohne Lebensmittel). „Die Krise in diesen Branchen ist zum Teil existenzbedrohend. Ob die Hilfen hier greifen und ob die Hilfen im jetzigen Ausmaß so weitergezahlt werden können, muss man sehen“, erklärt Dr. Christian Gebhardt. 

Skeptische Unternehmer bei der IHK-Herbstumfrage

In der Herbstumfrage der IHK Fulda, abgehalten vor dem zweiten Lockdown, zeigten sich die Unternehmen im Kreis Fulda skeptisch. „Auf einer Skala zwischen 0 (extrem negativ) und 200 (extrem positiv) ergab die Herbstumfrage 93,1 Punkte. Wir sind auf dem Pfad der Rezession“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Michael Konow. Der Wert wird wohl noch sinken: Bei einer Blitzumfrage der hessischen Kammern sagten 8 Prozent der Firmen, sie seien von Insolvenz bedroht. Im Gastgewerbe und der Reisewirtschaft fürchten gar mehr als 20 Prozent ihr Aus. 90 Prozent dieser Betriebe melden ein Umsatzminus von mehr als 25 Prozent. „Diese hessischen Zahlen sind auf Osthessen übertragbar“, sagt Konow.

Die Fuldaer Hotellerie war besonders getroffen. Die zentrale Lage Deutschlands nutzend, hatten sich viele Hotels auf den Bereich Kongresse und Tagungen spezialisiert, der jetzt besonders leidet. Dass der Musical-Sommer – der sich in den vergangenen Jahren zum immer stärkeren Magnet entwickelt hat – ausfallen musste, trifft die Veranstalter von spotlight ebenso wie Hotels und Händler.

Der Handel ist die Branche, die am zweithärtesten getroffen ist. Hier hat sich die Verlagerung der Umsätze ins Internet beschleunigt. „30 Prozent der Händler erwarten ein Umsatzminus von mehr als 25 Prozent“, berichtet Konow. Die Händler, gerade in Innenstädten, leiden unter einem Rückgang der Frequenz: Es kommen einfach weniger Menschen zum Einkaufen.

Leere Innenstädte, volle Auftragsbücher

„Die Novemberhilfe, die in den Dezember verlängert wurde, hilft großen Unternehmen nur bedingt“, warnt Präsident Gebhardt. Größere Firmen erreichten oft schnell die von der EU gesetzte Grenze von einer Million Euro Hilfszahlungen im Jahr. 

Die Industrie in der Region hingegen meldet meist volle Auftragsbücher. „Oft reicht die Auftragsdecke allerdings nicht mehr so lange wie früher“, berichtet Gebhardt. Die Autobranche sei etwas aus dem Tief heraus, weil die Bürger und Betriebe wieder Autos kaufen – mehr Elektrofahrzeuge als früher, aber vor allem Benziner und Diesel.

Profitiert hat auch die Gesundheitswirtschaft. „Mit einer Milliarde Euro Bruttowertschöpfung und 10.000 Beschäftigten ist die Branche im Kreis sehr stark“, berichtet Konow. Aufwärts ging es auch bei Lebensmittelhändlern, Bäckern und Metzgern, Regionalvermarktern, im Bereich Logistik/Paketdienste/Onlinehandel, bei Baumärkten, im Bauhandwerk, bei Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern sowie in der IT-Branche.

Besondere Struktur hilft Osthessens Wirtschaft

Was der osthessischen Wirtschaft in der Krise hilft, ist ihre besondere Struktur. „Die Unternehmen sind zum allergrößten Teil inhabergeführt. Sie setzen sich langfristige Ziele, können auf Krisen aber auch schneller und flexibler reagieren“, erklärte Gebhardt. Firmen, in denen der Inhaber selbst mit anpackt, bilden meist auch viel aus. „Auch in diesem Jahr hat Fulda eine sehr hohe Ausbildungsquote“, berichtet Konow. „Die Unternehmen investieren in ihre Zukunft und bilden auch in schwieriger Zeit ihre Fachkräfte für morgen aus“, erklärt der Hauptgeschäftsführer.

Die osthessische Wirtschaft – gerade in Main-Kinzig – lebt vom Rhein-Main-Gebiet. Im Ballungsgebiet ist der Einbruch noch etwas größer als im Bundessschnitt, schon allein weil der Flughafen, die Messe und der Tourismus so stark getroffen sind.

Zweiter Lockdown leichter für die Mitarbeiter

Dennoch: Auch im Main-Kinzig-Kreis spüren viele Industrieunternehmen kaum negative Auswirkungen – aus unterschiedlichen Gründen: „Die Nachfrage aus China ist wieder gestiegen, und die eigenen Mitarbeiter können entweder im Unternehmen oder im Homeoffice voll arbeiten, ohne sich um die Kindererziehung zu kümmern. Denn die Schulen bleiben diesmal ja offen. Das macht vieles leichter“, erklärt Dr. Gunther Quidde, Hauptgeschäftsführer der IHK Hanau-Gelnhausen-Schlüchtern.

Die IHK im MKK hat ihre Mitgliedsunternehmen im September – also vor dem zweiten Lockdown – und im Mai, als der erste Lockdown zuende ging, nach ihrer Geschäftslage befragt. In der Industrie bezeichneten im September 14,8 Prozent ihre Lage als gut, im Mai nur 13,0 Prozent. Im Einzelhandel 41,7 Prozent – da waren es im Mai 0 Prozent. Und in der Gastronomie waren es jüngst nur 11,1 Prozent nach 0 Prozent im Mai. „Der jüngste Lockdown, der vermutlich auch das Weihnachtsgeschäft trifft, wird die oft schon schwierige Lage im Handel und der Gastronomie weiter verschlimmern“, warnt Quidde.

Wo stecken die Probleme? „Am häufigsten fehlt das Geld, weil die Umsätze wegbrechen, aber etwa die Miete weiter gezahlt werden muss“, erklärt Quidde. „Manchmal hören wir bei unseren Beratungen für Gastwirte, dass ihnen gute Mitarbeiter kündigen, weil sie seit Monaten nur Kurzarbeitergeld erhalten, aber anderswo etwa als Pflegekräfte deutlich mehr verdienen“, berichtet Quidde. Der Hauptgeschäftsführer verweist auch auf eine psychologische Komponente: „Die meisten Selbständigen sind stolz auf ihren Beruf und ihr Unternehmen und dass sie allein zurechtkommen. Wenn sie als Solo-Selbständige jetzt eine Variante von Hartz IV beantragen müssen, dann trifft sie das ganz persönlich sehr hart.“

Vogelsbergkreis gewinnt weiter als Wohnstandort

Das gilt auch für die Selbstständigen im Vogelsberg. Insgesamt halfen hier aber die kleinteiligen Strukturen. „Es sind unsere kleinen und mittelständischen Betriebe, die entscheidend zur positiven wirtschaftlichen Entwicklung beitragen. Wir sind relativ breit aufgestellt, wir sind nicht nur von einer Branche abhängig. Unsere Unternehmen können somit flexibler auf die Entwicklung reagieren“, sagt der Vogelsberger Vize-Landrat und Wirtschaftsdezernent Dr. Jens Mischak (CDU). Aber natürlich wirkten sich die corona-bedingten Beschränkungen auch im Vogelsberg aus. Stabilisierend sei auch, dass der Anteil der Unternehmen, die im eigenen Gebäude wirtschaften, höher ist als in Ballungsgebieten und die Gewerbemieten insgesamt niedriger sind.

Der Vogelsbergkreis gewinnt auch als Wohnstandort – und tat dies auch schon vor der Pandemie. „Der Saldo aus Zu- und Abwanderung entwickelt sich bereits seit einigen Jahren leicht positiv. Die Nachfrage nach Bauland ist einigen Städten und Gemeinden des Kreises höher als erwartet. Insbesondere profitieren Kommunen mit einer guten Verkehrsanbindung“, berichtet Mischak.

Viele Unternehmen in der Region konnten trotz widriger Umstände – oder auch gerade wegen dieser Umstände – Erfolgsgeschichten schreiben. Einige dieser Geschichten lesen Sie in auf dieser Website und im Magazin Business View 2020, das am 11. Dezember 2020 als Beilage der Fuldaer Zeitung und ihrer Nebenausgaben erschienen ist.